Radfahren in Berlin – The Best Of Alltag
Radfahren in Berlin ist nicht immer ganz einfach.
Es hapert insbesondere an der Wahrnehmung der Autofahrenden, die sich einem Radfahrenden grundsätzlich überlegen und mit Vorrechten versehen sehen.
Doch wir sind gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer, die selbst, wenn sie sich völlig korrekt verhalten, abgedrängt, genötigt, beschimpft und belehrt werden.
… ich war zuerst hier!
Das erste Mal ist mir das schon vor vielen Jahren klar geworden, als eine Autofahrerin mir völlig bewusst die Vorfahrt versperrte und das mit „… ich war zuerst hier!“ begründete.
Frauen, die möglicherweise nachts die Straßenseite wechseln würden, wenn sie mir nachts mit langen Haaren und Bart begegnen, beschimpfen mich aus dem Blechpanzer heraus ungeniert.
Männer, die sonst nicht mal eine Fliege erschlagen können, drängeln einen mit hassverzerrtem Gesicht eiskalt ab.
Natürlich: Es sind nicht alle so. Aber es sind inzwischen viel mehr so. Ich weiß das, denn ich fahre seit 40 Jahren in dieser Stadt Fahrrad. An dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei.
Und mindestens genauso lange höre ich, dass Radfahrer immer bei Rot fahren. Die gibt es. Auch an der Erkenntnis führt kein Weg vorbei.
Verkehrs-Bösewichte gibt es auf beiden Seiten aber wir sollten auch schlicht zur Kenntnis nehmen, dass bei mehr als 75% aller Unfälle mit Rad-Beteiligung der Radfahrer eben nicht der Schuldige ist.
Und leider sind viele dieser Unfälle auf mindestens Unachtsamkeit, wenn nicht sogar Ignoranz des umliegenden Verkehrs zurückzuführen. Autofahrer fühlen sich immer im Recht und alle anderen sind nur Staffage in der Stadtkulisse. Man parkt mit den Worten „… wo soll ich denn sonst parken…“ auf Bürgersteigen, Radwegen und Grünanlagen und ein Glas Gurken reicht als Ausrede um hundert Meter über den Gehweg bis direkt vor den Eingang zu manövrieren, weil „…man das ja alles nicht so weit schleppen kann…“.
Das Video im Beitrag gibt meine völlig subjektive Sicht auf den Straßenverkehr und die Stadt Berlin wieder. Der Fahrradalltag.
Es zeigt schlimme und tolle Momente. Bei den schlimmen Momenten ist dann aber erschreckend, dass hier nur Ausschnitte aus einigen wenigen Fahrtmitschnitten verarbeitet sind.
Aber es wird mehr Filme geben…
… sorry, aber da war halt ein Stau…
Das Auto steckt so tief im Bewusstsein aller „normalen Menschen“, dass es vielen nicht mal auffällt, wenn die Kollegen, die morgens zu spät ins Büro kommen, mit unterschiedlicher Empathie begrüßt werden: Der Autofahrer wird, nachdem er sowas wie „… sorry, aber da war halt ein Stau…“ bedauert und es ufert in ein allgemeines Gespräch um den „schlimmen Verkehr“ aus. Der ÖPNV-Nutzer sagt sowas wie „… die S-Bahn ist ausgefallen…“ und bekommt Lebenstipps wie „… musste mal ein Zug früher fahren…“ oder „… nimm halt das Auto…“.
Typische Morgengespräche unter Beschäftigten drehen sich auch um, für die wirklich normalen Menschen die den ÖPNV oder das Rad nutzen, völlig unverständlichen Themen, wie die unglaubliche Entfernung des heutigen Parkplatzes und alle anderen die ihnen den Stammparkplatz weg nehmen.
Der Radfahrer wird auch gerne mit den Worten „…bist du etwa mit dem Rad gefahren?“ empfangen, als sei das etwas krankes.
Krank ist es für mich aber eher die paar hundert Meter von meinem Wohnhaus zum Supermarkt mit dem Auto zu fahren um das tonnenschwere Glas Gurken zu besorgen.
Fragt man so jemanden, warum er den ÖPNV nicht nutzt, wird oft der „hohe Fahrpreis“ angeführt, was angesichts der 332000 € die ein durchschnittlicher Autofahrer im Leben für sein Spielzeug ausgibt, der blanke Hohn ist.
Eine meiner beliebten Diskussionen ist:
„Warum fährst du nicht Bus/Bahn?“
„Da kann ich ja nicht losfahren wenn mir gerade danach ist.“
„Du fährst doch aber immer vor 6 Uhr los, damit du nicht in den Stau kommst.“
„Ja.“
„Dann kannst du ja trotzdem nicht losfahren, wann du willst.“
„…“
Man parkt lieber die Straße zu, die Parkplätze bleiben leer
Als absolut normal wird angesehen, dass man für sein Auto vor der Haustür und am Arbeitsplatz einen kostenlosen Parkplatz vorfindet. Viele meinen sogar einen Anspruch darauf zu haben, was aber absolut albern ist. Damit findet es jeder Autofahrer als normal so um die 20 m² öffentlichen Straßenlandes kostenfrei zur Verfügung gestellt zu bekommen.
Jeder möge mal anhand seiner Miete berechnen, was 20 m² eigentlich so kosten müssten, die Betriebskosten wie Wartung und Schneeräumen mal außer acht gelassen (bei mir wären das rund 200 €).
Wohnanlagen verfügen oft über Parkplätze und Tiefgaragen die Miete kosten, was den meisten als „zu teuer“ erscheint. Man parkt lieber die Straße zu, die Parkplätze bleiben leer.
Der Blick nach draußen lehrt uns, dass die meisten Flächen dort Straßen für die Verkehrsnutzung sind. Breit genug für die Nutzung durch Autoverkehr. Der erbärmliche Rest sind Flächen, die man großzügig Fußgängern und allen anderen spendiert.
Der Verkehrsanteil von PKWs liegt so bei 30%, der von Radfahren irgendwo um 10-15%. Genau muss man das gar nicht wissen, denn Radfahrer sind ja gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer und gehören deshalb auf die Straße und nicht auf dem Fußweg oder Bürgersteig.
So rund ein Drittel bis die Hälfte der Verkehrsfläche die Autofahrer beanspruchen, gehört also per se auch Radfahrern. wir hätten gerne unser Stück Stadt zurück, ohne die Fußgänger noch weiter zu bedrängen. so einfach ist das.
Was anderes hilft da nicht
Radfahrer werden ja auch gerne mal als Staugrund angegeben. Wenn dem so ist, möchte ich die Leute, die morgens auf dem Stadtring mit dem Rad die Staus verursachen gerne mal kennenlernen.
Staus werden von Autos gemacht. Es gibt zu viele davon und das macht die Stadt voll, laut und nicht lebenswert. Autofahrer ziehen aufs Land, damit ihre Kinder auf der Straße spielen können und es nicht so laut und lärmig ist. Der Verkehr ist ja schließlich die Hölle. Und werden damit selbst zu denen, die es allen in der Stadt vermiesen irgendwo im Stadtzentrum in einem Straßencafé zu sitzen.
Der individuelle Autoverkehr (also nicht der Gewerbeverkehr) muss eingedämmt und aus der Stadt herausgehalten werden und der ÖPNV und die Rad-Infrastruktur verbessert werden, damit wir letztlich alle wieder mehr Spaß, Gesundheit und Freude an der Stadt haben. Was anderes hilft da nicht. Schon gar nicht Brücken über die Havel und U-Bahnen für das Fußvolk, wie es die CDU gerne hätte.
Gerade heute gab es einen tollen Artikel dazu: Was man gegen Berlins volle Straßen tun muss.
Und er hat Recht.
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